Frühzeitige Spezialisierung oder Polysportivität oder …

24 Panathletinnen und Panathleten besuchten am 9. März das erste Meeting vom Vereinsjahr 2023 mit dem Themenbereich «Talentförderung im Kindesalter bis 12 Jahren». Bryan Charbonnet, Doktorand und Assistent am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern, sprang kurzfristig für seinen erkrankten Vorgesetzten Prof. Dr. Achim Conzelmann ein, und informierte gewandt und kompetent in einem spannenden Referat über Forschungsergebnisse des Instituts zu diesem Thema.

Die Talentförderung beschränkt sich nicht auf ein Schwarz-Weiss-Schema, die Frühspezialisierung oder Polysportivität. Die Spezialisierung sieht Vorteile bezüglich der Law-of-practice-Hypothese («je mehr, desto besser»), der biologischen Notwendigkeit («später ist zu spät; sensible Phase ist verpasst») und einer systembezogenen Notwendigkeit («ohne Spezialisierung kein Zugang zum Talentförderprogramm»). Die Polysportivität bewirkt möglicherweise mehr Nachhaltigkeit, allenfalls weniger Burnouts, Verletzungen und dafür mehr Motivation, schafft eine breite Basis («je breiter die Basis, desto höher die Lernfähigkeit»), die Kinder finden später die Sportart, die zu ihnen passt. Viel Bewegung im frühen Kindesalter bringt auf jeden Fall Vorteile beim späteren Erlernen von spezifischen Bewegungen und für eine sportliche Entwicklung.

Erfolgreiche Fussballer zeigten in der Regel bereits vor dem 6. Altersjahr aktiv Freude am Fussballspielen, spielten im 6. - 12. Altersjahr ca. 1000 Stunden Fussball, wobei mehr Stunden auf der Strasse als in einem Club. Wichtig für die Weiterentwicklung sind in dieser Lebensphase breite Erfahrungen innerhalb der Sportart.

Erfolgreiche Fussballerinnen der 90-er Jahren begannen mit dem Fussballspielen in der Regel erst nach der Pubertät, aktuelle Spitzenspielerinnen etwas früher mit durchschnittlich 9 Jahren, das freie Spielen auf der Strasse wird von den Mädchen bis heute kaum ausgeübt.

Auch Marco Odermatt stand bereits mit 2,2 Jahren auf den Ski und machte vielseitige Erfahrungen im Schnee. Gerade die Entwicklung von Marco Odermatt zeigt zudem die wichtige Rolle der Eltern (oder der älteren Geschwister) für die sportliche Entwicklung eines Kindes auf.

… eine aufgabenbezogene Polysportivität.

Auf dem Weg zu einer Spezialisierung profitieren Kinder in den Vereinen von einer aufgabenbezogene Polysportivität, je nach Ziel, Alter und Sportart, mit einem angepassten Trainingsumfang, der die intrinsische Motivation stärkt.

Die Förderung in kompositorische Sportarten wie Eiskunstlauf und Kunstturnen erfordern frühzeitig ein systematisches Training, wobei das Training auch ethisch verantwortbar sein muss. Grundsätzlich sind frühzeitige spezifische Förderungen notwendig in Sportarten, die ein frühes Hochleistungsalter aufweisen (Kunsturnen versus Rudern).

Mit seiner Studie zur optimalen Trainingsgestaltung im Kindesalter («Talentförderung im Kindesalter und der Weg zum Erfolg: Polysportivität oder frühzeitige Spezialisierung? Weder-noch!») hat Bryan Charbonnet im letzten Oktober den Swiss Olympic Science Award 2022 gewonnen.

Herzliche Gratulation!

Urs Grüter